März 2020, Regie und Theaterpädagogik, evangelisches Johannesstift
Ein Saal, fünf Tische, sechs Religionsexperten und eine Schulklasse. Ein Setting für ein Speeddating ganz besonderer Art, bei dem Grundschulkinder die Welt der Religionen in 50 Minuten erkunden. Sie gehen dafür von Tisch zu Tisch, jeder dekoriert mit Zeugnissen der jeweils repräsentierten Weltreligion. An den Tischen sitzen Expertinnen und Experten, die die Fragen der teilnehmenden Fünftklässler aus der Evangelischen Schule geduldig beantworten.
Ort des Geschehens: der Große Festsaal auf dem Gelände des Evangelischen Johannesstifts in Berlin-Spandau. Hier ist auch die Bildungskampagne „Kinder beflügeln“ der Johannesstift Diakonie angesiedelt, die das Projekt „Weltreligionen“ ins Leben gerufen hat. Unterstützt wird sie dabei im zweiten Jahr von der Karl Schlecht Stiftung und der Stiftung Nächstenliebe. Eine Woche lang befassen sich Grundschulkinder in Workshops mit verschiedenen Religionen und Weltanschauungen und erarbeiten unter anderem ein Theaterstück, das sie am letzten Tag ihren Eltern präsentieren.
Höhepunkt der Projektwoche: das Speeddating am Dienstag. Aus dem Stimmengewirr der Kinder dringen existenzielle Fragen wie „Was halten Sie eigentlich von Gott?“ oder auch welche mit ganz alltäglichem Hintergrund: „Was essen Sie am liebsten?“ Im Gespräch lernen die Kinder so Traditionen und Kulturen kennen und erfahren, dass viele Bräuche auch über vermeintliche Grenzen von Religionen begangen werden. „Ich feiere die Feste, wie sie fallen“, erläutert Islam-Experte Abdurrahim Camillo Dottermusch den Kindern. „Im Islam gibt es das Opfer- und das Zuckerfest. Das ist okay, aber auch ein bisschen wenig. Darum feiere ich auch gerne Weihnachten, das hinduistische Lichterfest Diwali und das chinesische Neujahr.“ Die Schüler Paul und Philipp interessieren sich besonders für Dottermuschs Gebetsteppich. „Das ist sozusagen meine tragbare Minikirche“, erklärt dieser. „Den habe ich, um überall einen sauberen Platz zum Beten zu haben.“
330 Millionen Götter
Alle zehn Minuten erklingt ein Gong und die Kinder ziehen weiter zum nächsten Fachmenschen. Auf dem Tisch der hinduistischen Weltreligion liegen Karten mit Symbolen und Motiven. „Welcher ist euer wichtigster Gott?“, fragt Lara. Vilwanathan Krishnamurthy lacht: „Wir haben etwa 330 Millionen Göttinnen und Götter und jeder hat seinen Lieblingsgott. Am beliebtesten ist Ganesha. Er hat nie Krieg geführt, er isst und tanzt gerne. Mit seinem Elefantenkopf vergisst er nie, was er gelernt hat – das dürfen wir auch nicht.“
Den Tisch der christlichen Religionen teilen sich gut gelaunt gleich zwei Experten: Der katholische Diakon Berthold Schalk und der evangelische Pfarrer Martin Stoelzel-Rhoden. Die Schüler Eric und Tang-Long staunen über die vielen Dinge, die die beiden mitgebracht haben: Ein Kreuz, eine Maria-Figur, eine Bibel, ein Gesangbuch und ein Taufbecken. Letzteres wirft bei den Schülern Fragen auf: „Damals als die ersten Christen getauft wurden, sind die Menschen ins Wasser gegangen und wurden drei Mal untergetaucht“, erläutert Schalk. „Heute sind wir zivilisierter, nutzen dieses Taufbecken und gehen mit den Kindern nicht ins Meer, obwohl die das gut vertragen“, lacht er. „Einmal im Jahr gehen wir aber noch in die Havel, um zu taufen“, wirft Stoelzel ein. „Und wenn man getauft ist, muss man dann immer beten?“, fragt Eric. „Das ist in etwa so, als wenn man fragt: Wenn man verheiratet ist, muss man sich dann immer küssen?“, erwidert Schalk. „Man muss nicht, aber man darf und man will.“
Am Tisch des Judentums orientieren sich die Schüler derweil noch: „Sind Sie evangelisch oder katholisch?“ Esther Knochenhauer von „Rent a Jew“ antwortet schmunzelnd: „Ich bin jüdisch“. Die Schülerin Laura fragt nach: „Und wie ist das so jüdisch zu sein?“ Knochenhauer erzählt ihr dann von der vielfältigen jüdischen Tradition, darüber, dass es an Chanukka acht Tage lang Geschenke gibt, von jüdischen Speisegesetzen und Kleidervorschriften. Als sie von der Beschneidungszeremonie berichtet, erntet sie Kichern und ungläubiges Staunen. „Eigentlich ist unser Leben gar nicht viel anders“, sagt Knochenhauer. „Wir wohnen auch in Wohnungen, haben Autos und Haustiere.“
Das erste Mal Meditieren
„In unserer inneren Welt, da sind Gedanken und Gefühle und noch viel mehr. Und Buddha hat uns eine Methode gegeben, um unseren eigenen Geist kennenzulernen und innere Ruhe zu finden“, erzählt Buddhismus-Expertin Friederike von Born-Fallois den staunenden Schülern. Klar, dass die Fünftklässler das auch ausprobieren wollen. Bald vergessen sie den Trubel um sich herum. Alle sitzen aufrecht, spüren den eigenen Atem – sprechen gemeinsam ein Gebet, sind eine Minute lang einfach da und lassen alle Ablenkungen – wie eine Wolke – vorbeiziehen.
Am Ende des Tages sind sich die Kinder einig: „Wir haben ganz viel gelernt und gemerkt, dass man auch mit Erwachsen gut reden kann.“ Die Schülerinnen und Schüler nehmen mit, dass es neben allen Unterschieden auch viele Gemeinsamkeiten zwischen den Weltreligionen gibt. Islamexperte Dottermusch bringt es auf den Punkt: „Wenn Emily und Jasmin zur Zitadelle in Spandau fahren, kann es sein, dass die eine den Bus und die andere das Fahrrad nimmt. Das Ziel ist dasselbe aber sie sehen unterschiedliche Dinge auf ihrem Weg. So ist das mit den Religionen auch – äußerlich unterscheiden sie sich, aber im Kern geht es immer um dasselbe: Frieden mit sich selbst und anderen, Achtung, Liebe und Hingabe.“